Der Mensch siedelt dort, wo Wasser ist. Das war schon immer so, besonders in Ländern mit trockenem und heißem Klima. Wasser zum Überleben für Mensch und Tier, Wasser zum Bestellen der Felder und zum Betreiben der Mehlmühlen. In Değirmenlik, dem alten Kythrea und noch älterem Chytroi hatten die Menschen Wasservorkommen gefunden, eine Menge Wasser aus den berühmten Quellen der Fünffingerberge. Den Beweis treten die vielen Tunnels, Kanäle, Aquädukte und Teiche verschiedener Jahrhunderte an. Heute sind all diese Wasserwege trocken, füllen sich kurzeitig nur bei heftigen Winterregen.
Die älteste Siedlung, von der berichtet wird, ist Chytroi, gegründet von Chytros, eines der zehn Stadtkönigreiche Zyperns, im Norden an die Küste reichend, also über die Berge hinweg, und im Osten angrenzend an das Königreich Salamis. Im archäologischen Museum im südlichen Teil von Nicosia können wir die große Bronzestatue von dem Herrscher Septimus Severus in Saal 6 bewundern, die im Jahre 1928 an der Stelle des antiken Chytroi und heutigen Değirmenlik gefunden worden ist.
Heute ist Değirmenlik Kreisstadt des Gebietes einschließlich vieler Dörfer bis hinunter nach Ercan, wo unser Flughafen liegt. Wir haben Freunde dort, die Familie eines jungen Künstlers, Hasan Zeybek, der uns eines Tages eingeladen hat, seinen Heimatort und Umfeld näher kennen zu lernen. Mit seinen Bildern hatte Hasan seine Heimat mir schon geschildert.
Es liegt im Zentrum der Mesaoria, der flachen weitläufigen Ebene südlich der Fünffingerberge mit ihren so typischen Farben in den Falten der Hügel, an denen sich die Dörfer und Ansiedlungen hinaufziehen, somit den Hintergrund bestimmend, ein Merkmal, das wir in vielen Gemälden, Zeichnungen und Fotos finden.
Hier wuchs Hasan auf, mit diesen Farben, umgeben von den historischen Zeugen vieler Jahrhunderte und es hat ihn und seine Arbeit geprägt. Es berührt, seinen Stolz zu sehen, mit dem er uns durch die alten Dorfstraßen führt mit antiken Elementen überall präsent. Für viele Jahrhunderte wurde die Gegend von Menschen verschiedener Herkunft bewohnt; sie lebten zusammen, arbeiteten auf den Feldern und feierten gemeinsam. Es ging ihnen gut, dank der reichen Ernten und der vielen Mühlen, mit denen das Mehl für die Insel gemahlen wurde. Böse Zungen behaupten, dass die Quellen alle aufhörten zu fließen, als die Türken im Jahre 1974 auf Zypern gelandet sind. Die Wahrheit ist, dass rücksichtsloses Bauen und Erschöpfen des Grundwassers zum Versiegen der Quellen führten. Es ist ein trauriger Anblick, die einst wasserführenden Kanäle staubtrocken zu erleben, auch all die still stehenden Wassermühlen in den Hügeln und Tälern, Mühlen, für die die Gegend einst berühmt war. Die Macht und der Fluch des Wassers.
In den Straßen Zeugen verschiedener Kulturen, die in das heutige Leben eingegliedert wurden, wie selbstverständlich existieren sie nebeneinander. In einem zerfallenen Haus lehnen Steinräder und anderes Mühlzubehör an den Wänden, man sagt, von der ionischen Insel Krythea eingeführt, oder auch von Alexandrette, dem heutigen Iskenderun im Süden der Türkei.
Ich sehe mich mit Rucksack, schweren Stiefeln und Hämmerchen Wochen hier verbringen, um weitere Zeugnisse unserer alten Zeit zu finden. Unsere Neugier ist hellwach.
Im Gebiet Değirmenlik allein stehen 15 Kirchen, davon wird eine als Moschee genutzt, was Sinn macht, sage ich mir, Gottes Haus, nicht wahr? Einige Kirchen sind teils renoviert, erklärt Hasan. Dort eine Moschee neben einer Kirche, Bilder der Normalität. Doch sehen wir auch Zeugnisse einer tragischen Vergangenheit, in den Gesichtern der Menschen, die nach 1974 hierher gekommen sind, umgesiedelt wurden, das Herz noch im Dorf von damals verbleibend.
In dieser Gegend sind auch Zeugnisse zu finden von anderen Flüchtlingen aus den Anfängen der Christenheit, erzählt Hasan, Menschen, die für ihren Glauben getrieben wurden durch halbe Kontinente, durch Kleinasien bis in die Türkei, nach Kappadokien, und eben auch hierher auf Zypern, hier in unseren Hügeln, wir würden es sehen, sie hausten in unterirdischen Höhlenstädten, er würde uns hinführen.
Und so fahren wir hinauf in die Hügel, dem Fünffingerberg vorgelagert, wo die Zuwanderer aus Anatolien wohnen, die Frauen mit Kopftüchern, die Männer in den Feldern, die verdorrten Olivenbäume bearbeitend. Zu tief beschnitten, meint Hasan, die Bäume sehen aus wie Gnome. Auf einem der Hügel steht eine kleine Kirche, es sei die einzige katholische Kirche weit und breit, man kommt dort nur zu Fuß hin.
Wir sind nun am äußerten Ende des Değirmenlık Distrikts angekommen, an einem Bergrestaurant mit dem Namen Başpinar, was so viel heißt wie Kopf einer Quelle, und so ist es auch, das Haus ist über dem Ausgang einer Quelle gebaut und Hasan führt uns in die mannshohen unterirdischen Gänge, die einst voll waren mit dem sprudelnden Quellwasser und sich in Becken davor sammelten. Man kann es noch nachvollziehen. Da gibt es noch ein Foto aus der Zeit. Darum herum ein grosser Picknickplatz mit Bänken und Tischen unter hohen Bäumen, der noch heute im Sommer besucht wird, allerdings ohne Wasser.
Von hier hat man einen weiten Blick über die Hügel und Täler über die Mesaoria bis hin zu den Troodosbergen im blauen Dunst.
Zu Fuß erreichen wir ein felsiges Hügelgebiet, bedeckt mit Macchia und vom Wind gebeugten heimischen Zypressen; über uns ragt steil der Fünffingerberg, über den viele Sagen erzählt werden. Bei einer geht es um die romantisch-tragische Geschichte von zwei Knaben, die um ein Mädchen kämpfen. Der eine treibt seinen Gegner mit dem Schwert in den Sumpf hinter ihm, und dieser versinkt, mit einer Hand in Verzweiflung erhoben. Über die Jahrhunderte hinweg hat sich der Boden erhoben mit der immer noch sichtbaren Hand, um den Mörder auf ewig zu verdammen.
In dieser mit Legenden behafteten Gegend überqueren wir den steinigen Grund auf der Suche nach den Eingängen zu den unterirdischen Behausungen der frühen Christenflüchtlinge. Und wir finden sie, die Dächer eingefallen, die gemauerten Bögen lassen sich noch erkennen. Ohne einen kundigen Führer, wie wir ihn hatten, lassen sich diese Plätze kaum finden, das ist sicher.
Eine seltsam unwirkliche Atmosphäre ist um uns und ich fange schon an, Geister zu sehen, sehe Schatten aus den Höhlen treten. Da, vor uns eine riesige Herde von Schafen und Ziegen. Wir treffen auf die zwei Schafhirten und reden mit ihnen. Einer von ihnen ist Bauer im Ort und er lädt uns zu einem Besuch seiner Farm ein, er unterhält auch Pferde. Hasan verspricht, dass er uns das nächste Mal hinführen wird. Auch Hasan hat als Junge die Herde seiner Familie gehütet, hier in diesen Hügeln, und er sieht aus wie ein Schafhirte, wie er so dasteht mit seinem Lederrucksack, den er von seinem Großvater geerbt hat.
Wir steigen ins Auto und fahren zurück, reihen uns wieder ein in die Gegenwart, verlassen eine Zeitebene und für einen Moment weiß ich nicht, auf welcher Ebene ich nun wirklich stehe.
Hasan brachte uns zum Haus seiner Mutter, die mit Kaffee und Apfelkuchen auf uns wartete. Und da sehe ich an der Wand ein Ölbild hängen, gemalt in just den Farben, die wir gerade durchfahren und empfunden haben. Das Bild hat die Mutter gemalt.
Stell Dir vor, es sind die Farben, die seit vielen Jahrhunderten Gültigkeit haben.