Der ehemalige Assistent des Verfassungsgerichtspräsidenten Prof. Ernst Forsthoff, Dr. Christian Heinze, schrieb über Rauf Denktaş: „Dass in der ganzen Welt nur wenige Politiker mehr als fünfundzwanzig Jahre hindurch ihre Positionen so klar und eindeutig, nur mit anerkannten Grundsätzen und zutreffenden Tatsachen begründet, unverändert und gemäßigt vorgetragen haben wie dieser Staatsmann, wird nicht wahrgenommen.“ Selbst in den meisten Nachrufen der vergangenen Stunden wurde Rauf Denktaş als derjenige beschrieben, der verantwortlich gewesen sei für jahrelange Blockaden bei den zyprischen Verhandlungen. Doch ein Blick in Denktaş‘ Biographie und die Entwicklung der Zypernfrage zeigen: Dieser Staatsmann hat sich Zeit seines Lebens von einem Grundsatz leiten lassen: Anerkennung und Eigenständigkeit für die türkischzyprische Volksgruppe. Diesen Grundsatz hat Denktaş immer wieder überprüft, schlussendlich aber nicht in Frage gestellt. Immer wieder betonte Denktaş seine Sicht auf den Zypernkonflikt und zog einen Vergleich zur Medizin: Ein Arzt kann die Symptome einer Krankheit erkennen und bekämpfen, er wird aber die Krankheit niemals ausheilen können, wenn er alleine auf die Symptome blickt. Denktaş hat Zeit seines Lebens für die Anerkennung der Gleichberechtigung der beiden zyprischen Volksgruppen gekämpft, dies jedoch zielstrebig und unnachgiebig.
In den Verträgen von 1959 und 1960, bei denen der Anwalt Denktaş bereits aktiv beteiligt war, wurde von allen Seiten – Griechenland, der Türkei und beiden zyprischen Volksgruppen – anerkannt, dass den beiden zyprischen Volksgruppen im Rahmen der Partnerschaftsrepublik die Gleichberechtigung zugebilligt wird. Nur drei Jahre später wurde dieser Grundsatz aber ausgehebelt. Die türkischzyprische Volksgruppe sah sich 1963/64 massiven Angriffen ausgesetzt, Denktaş wurde in die Türkei verbannt. Er kehrte auf seine Insel zurück, um für die Gleichberechtigung zu kämpfen. Als nach dem Putsch der Junta in Athen gegen Erzbischof Makarios III. die griechische Führung Zyperns den Alleinvertretungsanspruch erhob und diesen zuerkannt bekam, lenkte Denktaş seine Volksgruppe in Richtung Unabhängigkeit. 1977 verhandelte er mit Erzbischof Makarios über eine Einigung. Man kam überein, Zypern solle ein bi-kommunaler und bi-zonaler Staat werden. Die so genannten „Makarios-Denktaş-Leitlinien“ sind noch heute Grundlagen der Verhandlungen. Als bis 1983 kein Durchbruch erkennbar war, überzeugte Rauf Denktaş die Zyperntürken von einer eigenständigen Republik. Die Türkische Republik Nordzypern wurde am 15. November 1983 ausgerufen und in einem Referendum samt ihrer neuen Verfassung von den Zyperntürken angenommen. Rauf Denktaş wurde 1985 zum ersten Staatspräsidenten der Republik gewählt. 1990, 1995 und 2000 wurde er jeweils wiedergewählt. Er führte die Verhandlungen mit den griechischzyprischen Partnern immer unter der Bedingung, eine gleichberechtigte Verhandlungsposition inne zu haben. Allzu oft wurde ihm dabei der Stempel des „Hardliners“ aufgedrückt.
Der Mann, dessen große Leidenschaft der Fotographie galt, wollte einst gar nicht in die Politik wechseln. Sein großer Wunsch war die Tiermedizin. Nur auf Druck des Vaters hin studierte er Jura und wurde später Anwalt. Diese Rolle brachte ihn schlussendlich zur Politik. Zusammen mit Dr. Fazıl Küçük übernahm er die Rolle des Volksgruppenführers, die er nach dessen Tod 1984 alleine innehatte. Nachdem die Regierungsgeschäfte 2004 von der republikanisch-türkischen Partei (CTP) und Mehmet Ali Talat übernommen wurden, die Bevölkerung sich nach einem neuen Weg sehnte, zog er sich 2005 zurück. Denktaş hatte bereits 2000 mit dem Gedanken gespielt, nicht mehr für das Präsidentenamt zu kandidieren, tat dies letztendlich aber doch. 2004 lehnte er die Annahme des Annan-Friedenplans ab. Er machte keinen Hehl daraus, dass er in diesem Plan keinen Schlüssel zur Lösung erkennen könne. Nach dem Einzug des Sozialdemokraten Mehmet Ali Talat in den Präsidentenpalast wurde oftmals – gerade von europäischen Medien – die Hoffnung geäußert, dass Verhandlungen nun eine andere Dynamik erhalten könnten. Schon bald erkannten die Zyperntürken, dass eine Änderung im Präsidentenpalast nicht die Lösung bringen würde. Auch Talat änderte die von Denktaş immer wieder beschworenen Grundsätze nicht. Dies mag eine spätere Genugtuung für Rauf Denktaş gewesen sein. Der in der türkischzyprischen Gesellschaft hoch verehrte Staatsmann zog sich nach dem Ausscheiden aus dem Amt 2005 aber nicht vollständig zurück. Er übernahm die Rolle des kommentierenden Beobachters. Er beteiligte sich weiterhin aktiv am gesellschaftlichen und politischen Leben der Inseltürken und verfasste zahlreiche Bücher.
Ich habe Rauf Denktaş in den vergangen Jahren immer wieder als einen ausgesprochen klar analysierenden Politiker kennengelernt. Denktaş nahm sich Zeit, die Angelegenheiten und Anliegen der Zyperntürken zu erklären. Viele Zyperntürken beschrieben den Verstorbenen als besonders volksnah. Seine Fotoausstellungen wurden in der ganzen Welt gezeigt. Bei unserem letzten Treffen – kurz bevor er im Mai 2010 schwer erkrankte – besprachen wir einen möglichen Deutschlandbesuch, den er vom Rat seiner Ärzte abhängig machen wollte.