Ich war noch Kind, als ich die starken Winde des Frühlings bat, mich auf seine Hände zu nehmen und hinaufzutragen in die Höhen des Vogelreiches und der Wolken, um meine Welt von oben sehen zu können. Auch heute noch, mit weißen Haaren, doch mit denselben Träumen, spreche ich den sehnsüchtigen Wunsch laut aus, wenn die blauen Winde den Frühling über Zypern ankündigen. Es ist Anlass für neues Hoffen, ein Erwarten auf Wiedergeburt. In manchen Ländern fällt ein neues Jahr mit dem Frühlingsanfang zusammen, was eine gewisse Logik enthält: Beginnen wir die neue Ära zusammen, zusammen mit der Natur und ihren frischen Farben, öffnen unsere Jacken und lassen Energie an unsere müden Geister.
Es gibt viele Rituale, den Frühling zu begrüßen, Rituale aus alten Naturreligionen, wie den Winter zu verjagen in der Figur eines alten Mannes aus Stroh auf dem Scheiterhaufen, Rituale, die Gottheiten um Fruchtbarkeit von Feldern und Frauen anzubeten, in alten Zeiten oft verbunden mit Darbringungen von Tier oder Menschenopfern.
Frühling, die Zeit, alle Türen zu öffnen und die dunklen Schatten aus den Räumen, Schränken und Seelen zu vertreiben; die von den Männern gefürchtete Zeit des Frühjahrsputzes, was sie vielleicht befürchten lässt, dabei gleich mit hinaus gefegt werden. In meinen Kinderjahren holten wir auf Geheiß der Großmutter frische Birken- oder Apfelzweige herein, auch Bündel von ersten Frühlingsblumen aus dem Wald, um das nun reine Haus zu schmücken.
Frühling, Zeit der Wiedergeburt nach Monaten des Stillstands, Hineinhorchens, dunklen Stunden; aber auch in der Bedeutung von Frühling im übertragenen Sinne, wie die Wiedergeburt einer Nation, wie der Prager Frühling in 1960. Frühling als Synonym für Erneuerung, Reinigung, Loswerden von ungeliebten und überflüssigen Gegenständen – es würde mich interessieren, ob die Scheidungsrate im Frühling eine ansteigende Tendenz hat – die Zeit, sich stark und schön zu fühlen, bereit für neue Jobs oder neue Lieben, unbesiegbar, die Lust, neue Gipfel zu erreichen und Abenteuer zu erleben.
Frühling mit seiner durchsichtigen Helle und den frischen Farben bedeutet Inspiration für Künstler, Poeten und Musiker, insbesondere in Zypern, die wir hier keinerlei Industrie haben. Frühling in der Gestalt einer verführerischen jungen Frau, einer frischen Knospe, wie in Botticelli’s Gemälde oder in Vivaldi’s Frühlingsmusik in den Vier Jahreszeiten. Was brauchen wir mehr Beweis, um von den magischen Kräften des Frühlings überzeugt zu sein.
Die ersten Anzeichen eines Frühlings in Zypern sind die Mandelbäume Anfang Februar, die sich wie junge Bräute dekorieren, um ihren Männern zu begegnen. Weiße Blütenwolken mit einem leichten Rosaton, hinauf und hinab die Hügel der Kyreniaberge, wo wir leben. Die nächste Farbe auf der Palette des Frühlings sind die Wellen von Gelb der Ginsterbüsche und damit einher gehen die Düfte, die die Menschen und Spaziergänger hochnäsig werden lassen, um den Atem des Frühlings einzufangen. Die sommertrockenen Böden sind durchsogen von den heftigen Winterregen und überall an den Wegrändern blühen die gelben kleeähnlichen ‘buttercups’ dieser Region, die zu meinem Leidwesen auch unsere Blumenbeete ersticken.
Ende März beherrscht das Gelb der blühenden Akazien, genannt Mimosa das Gesichtsfeld, entlang der Straßen von Lapta nach Kyrenia, oder in unserem Garten im betörenden Kontrast zum blühenden Lavendel. Ein atemberaubendes Erlebnis für die Augen mit dem Blau des Mittelmeeres als Hintergrund oder den violetten schweren Regenwolken, die sich oft über der Insel aufbäumen. Wenn ich in dieser Zeit über die Passstraße nach Nikosia fahre, erstreckt sich vor meinen Augen die weite Ebene der Mesaoria, eingedeckt vom frischen Grün der Weizenfelder und den wogenden Flächen der Senfpflanzen. Momente der Unwirklichkeit, die man nicht loslassen möchte.
Auf den zahllosen Wanderwegen in den Hügeln der Insel bewegen wir uns durch ein Meer an weiß, rosa und blau blühenden großköpfigen Anemonen, wilden Asphodelen, zarten Zyklamen, gelben Margariten und Tage später entlang Büschen mit weißen und rosa Zistrosen, die mich immer an zerknitterte Blusen erinnern. Wer kennt nicht die unheimliche Geschichte der Alraune mit der menschenähnlichen Wurzel, die hier überall wächst, einst verfilmt mit Hildegard Knef.
Nur gelegentlich treffen wir auf Menschen, die sich selbst nebst ihren Hunden ausführen, es sei denn wir begegnen einer großen Wandergruppe auf der Suche nach den hier heimischen Orchideen und anderen Wildpflanzen. Kürzlich machte sich eine fast 200 Personen starke Gruppe auf die Wege durch die Hügel für wohltätige Zwecke, auch der Regen hat sie nicht gehindert, obwohl ich nicht glaube, dass sie dabei Frühlingsblumen entdeckt haben.
Was immer Wurzeln hat auf dieser Insel, wird im Frühling sich strecken und erblühen, unzählige ‘Unkräuter’, Wiesenblumen, wilde Gladiolen und Tulpen, Gräser und Disteln, wie wilde Artischocken, meterhoher wilder Fenchel, werden nacheinander aufstehen und den Frühling verkünden. Sie werden ihre Schönheit unter Beweis stellen und die Insekten anlocken, um sie zur Verteilung ihrer Samen zu verführen in Richtung des Liebhabers nebenan. Was für ein ansteckendes Naturverhalten, denke ich, und wundere mich leise, warum bei all diesen Aktivitäten um mich herum eine so wohlige Müdigkeit von mir Besitz ergreift.